Als Komponist wäre ich jetzt ganz schön ratlos. Ich säße wie früher mein Vater vor einem leeren Blatt Notenpapier, wüsste noch nicht einmal, wie vielstimmig ich was schreiben wollen würde, keine Note würde sich finden als Anfang. Und davon dann nach den Regeln der Fuge etwas zu basteln: das wäre Bastelei. Oder Einen Kontrapunkt zum Nichts zu finden, wäre wie mit Null zu multiplizieren. Fetzen von Melodien flögen an meinem inneren Ohr vorbei, kämen aus dem Nichts nur um sofort sich wieder aufzulösen, Wäre nicht da mein eigener Herzschlag, ich hätte noch nicht einmal die Vorstellung von irgendeinem Rhythmus. Würde ich für ein Orchester schreiben oder für eine zarte Sopranstimme etwas zum Summen? Würde ich die Pauken und Trompeten brauchen? Oder als Maler säße ich vor der Staffelei, hätte alle Stifte angespitzt, alle Pinsel sauber gewaschen und die Künstlerfarben schön akkerat ( wie vorige Woche Beikircher als Imi betonte) zurechtgelegt. Jetzt wäre der Moment für die göttliche Eingebung, oder auf anderes Licht noch warten? Halt aus der Erinnerung beginnen? Es drängt ja nichts, die Leinwand würde geduldig aufnehmen und ich könnte den ersten Pinselstrich gleich wieder übermalen. Sich mit den Möglichkeiten auseinander zu setzen ist das Schreckliche an aller Kreativität. Es ist ja schon eine echte Entscheidung, das erste Wort, die erste Note, der erste Pinselschlich, der aller erste Hammerschlag. Hat Gott die Welt aus lauter kreativer Langeweile gebastelt? Wusste er damals schon, dass er Fehler machen würde? Da fällt mir Lucio Fontana ein, der mit einem scharfen Messer die weiße Leinwand mittig einschnitt. Ein weißer Schnitt. Ich sah dieses Bild das erste Mal in Schloss Morsbroich bei Leverkusen, es gab mir viel zu denken. Die ganze Gruppe, diese Ausstellung war für mich Revolution in einem mir noch nicht erschlossenen Sinn. Otto Piene, oder wie hieß der Dritte (Heinz Mack), war auch dabei, Rauch, Kerzenrauchbilder. Dokumente des die Leinwand nicht Abbrennen Wollens. Und dann die Nagelbilder, Schattenwerfend pingelig genau, etwas für neurotische Pedanten. Ich hatte mich gerade entschlossen, meine Farben, die ich klassisch selbst anrührte mit verschiedensten Ingredienzien, aus Werkstatt, Keller, Küche und Hose zu verbrennen und das Löschwasser abzukippen als Dokumentation des Vorgangs. Diese zwei Sekunden, in denen sich der Lack auf Wasser schlierte, dieses Glücksgefühl, aus banalen Lacken oder dem teuren Glemadur nur Schlieren übrig zu behalten. Und dann die Fingernägel saubermachen. Bis mir ein Jahr später klar wurde, dass ein Amerikaner (war das Jackson Pollock?) das dann als seine Erfindung, seinen technischen Trick zu vermarkten wusste. Ich war schon zur Galerie Zwirner gefahren, hatte ihm eine kleine Auswahl meiner Bilder am Auto vor der Tür gezeigt und er hatte gesagt – fünfzig davon, dann können wir weitersehen. Ich war entsetzt, er hatte mich beleidigt. Ja, doch richtig, ich bin dann doch kein Maler geworden, habe zwar noch bis 1975 gemalt, viele Bilder auf Märkten und im immer größer werdenden Bekanntenkreis in Tübingen verkauft, verschenkt, vergessen. Irgendwann 1974 glaube ich, habe ich dann eine Kartei angelegt, mit kurzer Beschreibung des Bildes- eine Beschreibung, die nur ich verstand. Aus Amerika hatte ich ein einziges überlebensfähiges Bild 1961 mitgebracht. Dann flogen die Kreidefarben, die Lacke brannten, bis aufs Holz. Der Zyklus Tempest mit Miranda, Ariel, Prospero und Taliban, das waren meine besten Bilder. Oder hätte ich Dichter werden sollen? Dann säße ich jetzt immer noch vor einem leeren Blatt.