Kokon

Es sind jetzt Jahre schon, wo er mit der Frage, was schöner sei, zu lieben oder geliebt zu werden, sich konfrontiert sah.

Die Münze der Liebe hat halt beide Seiten; das eine gibt’s nicht ohne das andere, wenn auch das eine abgegriffen ist, so litt im Laufe der Zeit auch das andere, es sei denn, es gäbe da eine Fehlprägung: die wäre dann aber schon von Anbeginn an so fehl gewesen.

Nein, das ist gar nicht die Frage. Gehen wir doch zum Akt des Liebens selbst, zu spüren dass es dem andern gut tut was ich mache, tut mir gut. Zu spüren, dass die Grenzen zwischen mir und dem andern verfließen, dass nicht mehr entschieden werden kann, wer tut und wer getan wird, dass sich der Wille als Impuls verliert, vielleicht dass beide gleichermaßen nicht mehr sagen könnten was genau was war, was los ist, was.

Es war ihm schier unmöglich, sich dieser Frage zu nähern und klaren Kopf zu behalten.

 

Nun, er war schon oft deprimiert gewesen- wer drückt da? Und dann wieder sah er den Alltag all der anderen und beruhigte sich sehr schnell wieder, weil es denen doch oft viel schlechter ging. Er konnte sich wirklich nicht beklagen. Alles war irgendwie geregelt, Unsicherheit gab’s halt nur in der Liebe, aber angesichts der fehlenden Liebe im Alltag der meisten Menschen fand er es nicht mehr schlimm, das Gefühl, jetzt wäre es schön, wenn Dich jemand anfasst, wenn es Überraschungen gäbe, Lachen und Freude.

Oder auch nur, wenn Dich jemand meint, Dir in die Augen schaut, ein, zwei Worte mit Dir wechselt.

Dann flogen so trübe Gedanken durch sein Hirn- wie das Verständnis für all die einsamen Alten, und die verzweifelten, einsamen Jungen und  die zugemüllten vereinsamten Kinder. Es wäre doch alles so einfach, dachte er sich.

Wenn er sich dann manchmal wieder als Mann sah, jemand mit Geliebt-werden-wollen-Bedürfnissen, dann passierte es ihm, dass er hinterher sich ertappte, Fehlinterpretationen was direkten menschlichen Kontakt anbelangte, nachzuschieben. Es ging doch offenbar nur um das Kontakt-Bedürfnis zwischen alten Freunden, was sollen da hinterher Gedanken, wie „Ist sie denn zu mir gekommen und ich Trottel habe nicht gemerkt, dass sie gerne noch eine Weile geblieben wäre oder gar hätte ich aus meinem Schneckenhaus rausschauen müssen um ihr zu signalisieren, ich würde Dich gerne jetzt in den Arm nehmen, egal was dann noch so alles passiert?“

Nicht geführte Konversationen, Nicht klar ausgesprochene Einladungen, Kontaktphantasien zu nie gesehenen Menschen, Zufällige Treffen, die verpasst wurden.

All die inneren Dialoge während des Lebens, sind es nicht Spinnenfäden, die mich mehr und mehr zum Kokon machen?