ausgelesene Zeitung
Eigentlich ein größeres Caféhaus, mit Plüschsesseln an der Wand entlang
und einer winzigen Tanzfläche, die, wenn sie nicht in Benutzung war, was
natürlich meist der Fall, eher als Gefahr zum Ausrutschen für Kellner
herhalten musste denn als poliertes Glanzstück des Hauses- dort also, gegen
Mitte des Raumes an einem der eher etwas zu kleinen Tischchen, mit
Plastikblümchen auf der Mitte und Salz- und Pfefferstreuer sowie Süßstoff und
einem Zuckerschälchen mit Tütenzucker und - so wie es angeblich früher öfter
war - mit Zahnstochern. Gedeck Kaffee heißt hier eine Tasse, Kännchen und
Milchkännchen extra auf Silbertablett mit Papierdeckchen. Ich las gerade die
Zeitung. Dort also im Gemurmel und Gezische der ältlichen Gäste tauchte er
auf: mit Gefolge, das er offenbar benötigte, damit, wie bei einem Orchester,
er sich sagen konnte, alle hören mir zu; wenn es auch nur die wenigen -
verbliebene Getreue aus besseren Zeiten? - zu sein schienen und auch wenn die
vorher anwesenden Gäste sich, falls ihnen dieser Mensch überhaupt auffiel,
eher in ihrem Tun, Lassen und Gewähren - lassen gestört gefühlt haben
dürften. Zuhören auch wenn nichts Wesentliches gesagt wird und verbal nickend
seinen Senf dazutun, damit das Gespräch, in das man sich bemühte vertieft zu
sein, in Gang gehalten würde. Ob der mal beim Pinkeln wenigsten den Mund
halten kann, wenn nicht, wünsche ich ihm mal Prostataschmerzen, die er nur
weg- atmen kann, nicht weg- reden: wegreden tut er sonst alles: Also soll und
wird er Prostataschmerzen haben und still sein, vor sich hin atmen und ein
und aaaaus atmen bis die Schmerzen wieder weg sind. Aber die Gefahr, dass er
das allzu schnell beherrschen wird, besteht. Diese Gefahr besteht bei allen
die fast ständig reden müssen um sich selbst zu beweisen, dass sie noch am
Leben sind. Ich würde ihn gerne mal in ein Schweigekloster schicken, habe das
aber dann doch nicht getan, weil ich denke, dass sich dann ein derartiger
Wortschwall ansammeln würde, und dieser sich durch den Dammbruch am Ende der
Schweigezeit befreien könnte. Zuhören ist nicht seine Stärke- obwohl, das
muss ich zugestehen, er auch nur kleinste Regungen, Wortzuckungen,
Einwürfchen durchaus wahrzunehmen im Stande ist, wie sich bei einigen
Versuchen schon gezeigt hat. Es ist einfach mühsam nicht die Geduld zu
verlieren angesichts so vieler unterdrückter Regungen der Gedanken die sich
mühsamer als bei ihm in Worte flüchten könnten, immer im Bewusstsein, dass
viel viel mehr dahinter ist und so auch bleiben wird: Was ist wohl besser,
das Schweigen oder Mitreden ohne eine Chance zu wenden, neu anzusetzen oder
vielleicht gemeinsam zu suchen. Es gibt halt Leute, die haben alles schon
gefunden, wissen Bescheid und teilen unentwegt dieses mit: Zu allem ist etwas
zu sagen und zwar Folgendes! Auf die Idee einfach nur dazusitzen und die
Ohren aufzusperren solange es geht, bis zum Platzen die Ohren aufhalten und
wie ein Dürstender sich erst mal satt zu hören: Nein auf die Idee kommen nur
Verdurstende und nicht die frisch Gesättigten, die, von deren Tischen
bestenfalls Bröckchen abfallen damit auch jene etwas zu beißen haben die
nicht des Glücks teilhaftig wurden, am gedeckten Tisch der Eltern oder
Vorfahren oder der Gesellschaft sitzen zu dürfen. Es ist besser für mich die
Worte aus einer Zeitung, hinter der ich mich die ganze Zeit verkrieche, ohne
zu lesen, nun doch aufzunehmen. Ich habe mehr Geduld: das weiß ich, schon
lange. Andererseits, die Zeitung nun hier wiederzugeben ist sinnlos, weil
diese bis hierhin schon ausgelesen ist und nichts Neues mitzuteilen bereit:
Man stelle sich vor, Jeder der vielen vielen Sätze, die ich in mich
hineingelesen habe ist jetzt weg: weiße Fläche- rändlings noch ein paar
Kleinanzeigen, nichts Lesenwertes also. Ausgelesene Zeitung.