Nun, wo denn die Form geblieben sei, unendlich schwierig, sie zu
konstruieren. Sie käme dann beim Schreiben, meinte er in der Hoffnung, dieses
Argument könne, müsse zwar nicht, aber immerhin könne bei aufgeklärten
Menschen ziehen. Es zog nicht. Wie auch, hat es doch genau mit der Art
Aufklärung zu tun, die am schwierigsten zu erreichen ist, weil sie einen
selbst berührt. Nein es gehe nicht um Träume, das sei einfacher, weil der
Träumende sich weder seiner selbst bewußt noch zuständig oder gar
verantwortlich zu machen wäre. Es gehe um besondere Tagträume, also um
Strukturen des Denkens, Fühlens, Wollens für die sehr wohl Verantwortung zu
übernehmen sei. Gespeist werden die Tagträume wie ein See von all den vielen
Erinnerungen, den Vorstellungen und Gedanken, den bösen und guten
Empfindungen, den "Tagesresten". Sie führen dann und wann auch in Gegenden,
wo man sich unterhält, wo man streitet, dann kommt es ganz wesentlich auf die
Wortwahl und die Abfolge von Argumenten an, es wird nach Regeln gespielt.
Der Herzschlag wird sich dann und wann erhöhen, man kann auch mal lauter
werden, um einem Argument die nötige Schwere zu verleihen. Das Schicksal
solcher Tagträume ist oft, dass sie abgebrochen werden müssen, weil eine Ampel
auf rot springt, oder ein Kind schreit.
Anders die Träume, die halb tags- halb nachts geschehen. Sie geschehen mit
Dir, trotzdem weißt Du schon, wenn Du das Gummiband der Hose mit
untergehaktem Daumen berührst, dass Du sie doch wirst beichten müssen. Die
Beichte scheint ein Instrument zu sein, gespeist von Sünde oder dem, was
dafür gilt. Also gelten auch hier Spielregeln? Ja, eine Beichte ist zwar kein
Verhör, nur bei Kindern wird gefragt und nur diese halten sich noch an den
Beichtspiegel, in dem ja praktisch alles versteckt sein kann, was kindliche
Seelen beschwert aber untrüglich ist auch schon für Kinder, dass es der Sünden
mehr gibt, als sie je zu beichten hätten. Die wichtigste Spielregel ist also,
dass alles, was Deine Phantasie sich tatsächlich je erträumt hat, enthalten
ist im Maß der lässlichen Sünden.
Zurück also zum untergehakten Daumen: Du holst aus dem reichen Schatz der
Bilder geeignete heraus, führst sie Deinem Auge vor, manchmal blätternd, dann
innehaltend: wie mit einem technischen Gerät zoomst Du Körperteile,
gespeicherte Bewegungsabläufe, festgehaltene Teil-Interaktionen, bilderscharf
vor Dein Auge- hier könntest Du noch abbrechen, wechseln, auf neue
Bilder-Jagd gehen, aber die Erfahrung der letzten Tage macht Dich klug, Du
willst ja Geschichten weiterspinnen, Bilder zu Bildern sortieren, dem Album
neue Bilder hinzufügen.
Da tauchen alle auf, alle: besonders die, denen Du im richtigen Leben schon
begegnet bist, wo Du Geschichten wiederholst und andere Ausgänge
konstruierst, wo es anders läuft als in der Wirklichkeit. Da wird
gestreichelt, da weht ein Kleid, ein Knie wird vorgefahren, eine Hand bewegt;
Du interagierst mit den Persönlichkeiten Deiner Bilderwelt und machst
Erfahrungen, die Dir bisher versagt waren. Anknüpfen zu können an bereits
gemachte Erfahrungen, Erlebnisse, bewusst gemachte Blicke, im Vorübergehen
erheischte Berührungen, Begegnungen der Art, aus denen Träume sind.
Dies hier jetzt weiter zu beschreiben verbietet sich aus Anstand, weil der
jeweils Andere nicht dazu befragt werden kann - denn meist sind es doch
lebendige Personen, an denen anknüpfend Du Deine Geschichte weiter schreibst.
Und lebendige Personen haben auch ähnliche Bilderwelten und vielleicht, ja
vielleicht spielst Du in deren Bilderwelt auch eine Rolle- eine andere
vielleicht?
Diese Form, meinte der Beichtvater, diese Form sei nicht die Form der Beichte
- denn Buße sei hier nicht enthalten, auch wenn er seinerseits nun zehn
Vaterunser als Bußgang aufgeben würde: Nein, ihm fehle das Bedauern, das
Eingeständnis der Sünde, die Einsicht in die Schuld. Welche Schuld? fragst
Du: Zu Recht gefragt.