Der Hof ist klein

Der Hof ist klein,  gerade mal 3,54  breit und etwa 8 Meter lang. Am einen Ende ist nämlich die Mauer zum Stall samt einer Tür nach draußen zur Straße, das heißt, erst mal am Bad-Stall vorbei, der so heißt, weil es ein recht offener nur von zwei festen Mauern begrenzter Stall am Badezimmerfenster ist, dort steht ein Trockner, der vom Badfenster aus beladen werden kann- und  Platz für die Fahrräder und Krempel, was ruhig verstauben kann- also eine weiß gestrichene Mauer aus Kalksandsteinen, schön gefugt als Wand für zwei Regalbretter und eine Bank davor: Philemon und Baucis würden dort sitzen, wenn die Abendsonne für kurze Zeit einen Schimmer legt und sich durchs Wellplastikdach einen Weg bahnen kann. Unter dem Wellplastikdach, das am Haus entlang montiert ist, rankt der wilde Wein und ein Netz von winzigen Birnchen, mit Zeitschaltuhr an die Winterzeit angepasst. Zwischen dieser Bank und der Terassentür ist noch Platz für einen irgendwie aufgebockten Kühlschrank und darüber den zweiten Backofen, der nur dann benutzt wird wenn jener in der Küche voll ist – sonst ist er eher ein katzen-und hunde-und ratten-und kindersicheres Behältnis für Speisen und Kuchen.

Der Kühlschrank darunter ist der für Getränke und jetzt im Winter für die noch zu verarbeitenden Äpfel und Quitten. Man steht auf der flachen dreistufigen Treppe, wenn man mal an den Kühlschrank muss. Belegt mit Kunstrasenresten vom Stadion.

Was als erstes, wenn man hinaustritt durch die nach innen öffnende Tür bemerkt, ist geradeaus ein klassischer Kaninchenstall,  mehrstöckig. Unten ist Platz zum sich verstecken, vor der ersten Etage steht eine Holzbrettchenkiste, die dient dem Kaninchen Benny als Treppe in sein Reich: viel Platz und die Tür ist immer offen. Das Kaninchendrahtgeflecht ist alt und bienenwabeneckig - wie solch Draht halt ist und seine Funktion gut erfüllt.

Benny ist braun-gold gestreift und war erst sehr scheu. Es hat einige Wochen gedauert, bis er mich akzeptiert hat- jetzt rennt er erst fünf mal links herum um meine Beine, dann drei vier mal rechts herum, dann stellt er sich auf die Hinterbeine. Merkwürdig, dieser Ausdruck ist uns eigentlich nicht geläufig als ein Zeichen von Innehalten, Abwarten, sondern eher als sich anstrengen, wie wenn man in den Hinterbeinen mehr Kraft hätte, was jedenfalls bei Benny nicht so ist. Oder ist es nur eine Erinnerung an die Situation, dass Kaninchen sich auf die Hinterbeine stellen müssen, um über die Höhe des Grases hinwegzusehen, wenn sie nach Gefahr Ausschau halten- ja, das ist auch anstrengend! Er kennt mich ganz gut. So gut, dass ich ihn bisweilen als Libenny bezeichne, das wäre die Geschichte von der Libelle im letzten Sommer, die mich regelmäßig besuchen kam – aber das ist eine andere Geschichte. Benny weiß, dass er nicht rein darf. Aber er spielt bisweilen mit den kleinen Katern. Besonders mit Felix, einem anfangs zurückgebliebenen, jetzt aber normal entwickelten rötlichen Kater, der von ihm gleich gelernt hatte, wie man auf  den angewinkelten Hinterbeinen sitzt, was er aber nur manchmal getan hat, wohl weil er es  bei den andern Katzen nie beobachten konnte, und wegen des leichteren Umfallens nach hinten.

Mittlerweile darf ich Benny also streicheln, er schaltet seinen Flucht-Reflex einfach aus. Ich ertappe mich dann auch dabei, dass ich fühlen will, ob er sich schon für einen  Hasenbraten eignet. Ich meine mich zu erinnern, dass es bei meiner Oma – es muss Ostern 1948 gewesen sein, mal Hasenbraten gab. Ich war noch sehr klein und es gab so viele Hasen- Stallhasen natürlich- dass ich keine Namen für sie hatte. Ganz früh morgens musste meine Oma nämlich aufs Feld, was man von einem winzigen, nach hinten rausgehenden Küchenfenster aus sehen konnte, um Futter zu holen. Ach ja, der Duft in dieser Küche! Überhaupt, die Enge und aus jedem Winkel quellende Liebe, dunkler Stoff mit weißen Punkten oder winzigen Blümchen, Schürze, Kopftuch, Trümmerfrau; die Luft im Haus, wie es nur bei Ofenheizung ist. Ein Küchenofen mit umlaufender Reling und Wasserschoss.

Ständig gab es heißes Wasser und oft roch es auch nach trocknender Wäsche. Immer aber war sie da, die Oma.

In der Ecke dieser Wohnküche stand ein kleines Radio auf einem Eckregal an der Wand.  Ich weiß nicht, wann meine Großeltern das „Häuschen“ gebaut haben.

Mein Opa war als Lokführer in einem riesigen Baubetrieb und durfte sich wohl solche Formen, in denen Betonteile gegossen werden konnten, ausleihen. Das Häuschen hat er selbst mit seinen Kollegen gebaut: damals machte man das reihum, bis alle zufrieden waren. Alle, das war die „Kolonie“, eine riesige Schrebergartenanlage.  Jedenfalls hatten die Großeltern dort schon während des Krieges einen Garten, denn hinten im Garten bei den großen Himbeeren gab es vor meiner Zeit schon ein Gartenhäuschen, wo sie unterkommen konnten, als sie ausgebombt worden waren. Ich lernte damals die Namen von verschiedenen Apfel- und Birnensorten, Spalierobst und dass man, wenn man die Bäume beschneidet, immer zwei oder drei „Augen“ stehen lassen muss. Bei Spalier dachte ich damals eigentlich nur an ein Gerüst aus Latten und  Drähten  an dem sogar Weintrauben hingen. Und die Blumenpracht im vorderen Garten !

Mir kommt die Erinnerung an dieses „Häuschen“ jetzt erst, wo ich wegen des Hasen Benny abgeschweift bin.

Über Bennys Stall leben ein paar Meerschweinchen, fressen alles an Küchenabfall, was ihnen gebracht wird- so teilen sie sich mit Benny eine wirklich große Zucchini, die allzulange auf ihre Zubereitung gewartet hat. Speisereste bekommen die aber nicht, das ist für die Hühner. Das quietschige Piepsen der Meerschweine vertreibt wohl jede Ratte. Seit ich den Hof mitbevölkere habe ich noch keine Spur von Ratten gesehen, obschon am Ende des Hofes, nach dem Auslauf für den Hund, also hinter dem Hühnerstall, der Bach fließt.

Auf diesem Stall, dem von Benny und den Meerschweinchen, sind dann noch allerlei Blumetöpfe und auch eine dieser Solarlampen, die tagsüber das Sonnenlicht einfangen und nachts abgeben sollen (was dieses Exemplar nur noch flackernd alle halbe Dunkelstunde zu tun bereit ist). Hinter den Blumentöpfen und über dem praktisch undurchsichtigen Holzgeflecht zur Nachbars Garageneinfahrt hin stehen die vielen, vielen Fliederäste, die ihre Blätter auch noch lange im Winter behalten, bis sie, wenn sie denn günstig ihm vor die Füße fallen, von Benny abgeknabbert werden. Viele alte Wurzelstücke, Bretter, nass vom Regen und dem Verfaulen anheim gegeben wie das ganze Leben, schließen sich an und füllen die Lücke bis zum Vorratsstall, wo das Hühnerfutter und die Gartengeräte verstaut sind. Unterbrochen durch die eine oder andere Milchkanne, gefüllt mit Erde und Blumen: Diesmal, bei dem sanften Dezember sprießen sogar in einem der Töpfchen die Krokusse oder die Schneeglöckchen. Ganz oben auf Bennys Stall steht auch eine kleine Frühlingsblume, die gerade wieder zu blühen begonnen hat. Der Boden vor diesem Ensemble ist teilweise mit Brettern gepflastert, solchen, die zur Vergrößerung der Oberfläche Rillen im Holz haben, als viereckige Platten gut zu verlegen sind aber dem feuchten Klima im Hof doch nicht ganz gewachsen sind. Immer, wenn Benny also ein Loch gräbt im Holz- was ihm wohl Spaß bereitet, denn Regenwürmer frisst er wohl nicht, und das Loch groß genug wird für einen weiteren Pflasterstein wird wieder ein Stein dort eingepasst und wird später die Lücken im Belag schließen um mit einer Stelle am Ende der Überdachung, die gepflastert ist und leicht gewellt von einer Rinne damit sich kein Wasser sammeln kann, eine Einheit , eine gepflasterte Einheit zu bilden. Das ist es: In vielen Details des Hofes erkennt man Absicht, obwohl der erste Eindruck keine Absicht sondern Zufall zu vermitteln vermag.

Zwei Stützen, gut zwei Meter von der Hauswand entfernt und anschließend an die Mauer vom Badstall, tragen das Plastikwelldach, das jetzt langsam dunkel wird von all den Ahorn Blättern, die nicht den Weg zu weiterer Verwendung gefunden haben. Die eine Verwendung ist eine Art Streu auf dem nassen Boden, bepinkelt zu werden von den Hunden, gewendet vom Kaninchen und zusammengekehrt zu Feiertagen. Die andere Verwendung ist die eines Fahrscheins: ein Blatt dient der einen, mittlerweile kastrierten Katzenmutter als Ticket. Sie sammelt nur ausgesprochen große und schöne Ahornblätter, klettert dafür eine gute Strecke durch die dreidimensionale Landschaft des Hofes bis hinüber zum Nachbarn und kommt vor sich hin miauend zurück um sich auf die Hinterbeine zu stellen, an der Scheibe lauter zu miauen und Einlass zu verlangen. Irgendwer muss ihr mal gesagt haben, dass sie eine Art Ticket braucht um hereingelassen zu werden. Bisweilen war das Ticket auch kein Ahornblatt sondern eine Maus. Trotzdem, sie geht kaum einmal ohne den obligaten Fahrschein, den sie beim Öffnen der Tür abgibt, ins Haus.

Wenn man auf der Philemon Bank sitzt, schaut man direkt auf den Hühnerstall, gewelltes Plastikdach, Moniereisen, Jägerzaun anschließend an den Vorratsstall, der menschliche Steh-Höhe und eine schließende Tür hat, erstreckt sich der Hühnerstall. Als Mensch ist dort dann die Welt des Hofes zu Ende. Katzen würden übers Dach leicht nach hinten bis zum Bach gelangen können. Obschon die eine oder andere Lieblingsstelle zum Ausbüchsen längst mit einem Netz gegen Vögel und andere Fruchträuber abgedichtet ist, haben sich die größeren Katzen durchaus einen Weg um das Netz herum durch die Fliederzweige zur Mülltonne des Nachbarn bahnen können. Die Hühner, neun an der Zahl und zwei Hähne die bisweilen zur Unzeit um die Wette krähen, gedeihen prächtig. Das eine hand-aufgezogene im letzten Sommer ist schon stattlich und diskutiert ständig die Frage, warum es wohl im Stall zu bleiben habe, nachdem es als Junges doch schon ein Anrecht auf den Küchenbesuch  sich erarbeitet habe. Wenn  ich es dann scheuche, hüpft es auf den Stapel Plastikstühle, die bessere Sommerzeiten gesehen haben, um von dort aus durch ein Viereck einer Eisenmatte, die Wandbestandteil des Hühnerstalls geworden ist, zurückzuflattern und sich wieder zu den andern zu gesellen. Es wird noch schwer für dieses Huhn, von der Größe her unterscheidet es sich nunmehr kaum noch von den alten Hühnern - aber es hat ein völlig anderes Selbstbewusstsein: Würde ich es mit der Stimme locken, dann käme es neugierig- Ich habe es schon Piepsen gehört, als es noch im Ei war und darüber diskutieren wollte, ob Mensch ihm nicht endlich einen Weg nach draußen weisen wolle. Nun setzt es sich ständig wieder der Bemerkung aus, dass es ja wohl doch im Kochtopf landen wolle.

Von der Philemon Bank aus kann man den eigentlichen Eingang in den Hühnerstall nicht sehen: dieses mit wehendem Plastik abgehängte Jägerzauntürchen  wird verdeckt von einem weiteren Kaninchenstall, dreistöckig, und einer großen Freiluft-Vogelvolière mit gelbem Dach.  Sowohl die weiteren Kaninchen und ein Meerschweinchen, das mit einem weißen Kaninchen zusammenwohnt, als auch die Piepvögel sind eher am Rande und unauffällig. Alle haben solch ein Wasserreservoir, das alle Paar Tage gefüllt wird, aber interessant sind sie eigentlich nicht. Benny habe mit dem weißen Kaninchen schon mal Kinder gehabt, und die Weibchen könne man nicht im Hof laufen lassen, deren Trieb, Höhlen zu bauen sei zu stark. Benny beschränkt sich halt aufs Ausbessern der Holzbodenteile.

 Diverse Stühle und eine weitere Bank an der Hauswand gehören zu dem Terassentisch, der mitten unter dem Wellplastikdach sein Ablagen-Dasein fristet bis er im nächsten Sommer wieder als Frühstücks, Brunch- oder Abend-Tisch genutzt werden will. Diverse Behältnisse lassen sich unter dem Tisch hervorzaubern, wenn sie den gebraucht werden. Aber eine schöne Plastik-decke  verrät, dass dort eigentlich ein gemütliches Plätzchen für ein Glas Rotwein am Abend bis in die  schwüle Sommernacht bereitsteht.

Die Bank an der Längsseite des Tisches steht direkt neben den grün belegten Treppenstufen, den flachen, die anstelle eines großen Schwerbetonsteines, der früher dort als Trittbrett diente, das sanfte Eintreten die diese Welt des Hinterhofes erleichtern.