Nationalfeiertag

6:54  Uhr,  Vor sieben also und doch schon strahlende Sonne am 17.6.2011: ja, wach, Beine aus der Bettdecke und Füße in die hohe Luft, dann wie ein Turner Beine leicht angewinkelt runterziehen und Drehung des ganzen Körpers um 45 Grad, sodass die Position Sitzen auf der Bettkante wie von alleine eingenommen wird: herrlich, so wach, so tolles Wetter- wieso eigentlich, wo es gestern noch gewittert hat in diesem viel zu trockenen Sommer, ein Wetter wie in schönstem Hochdruckgebiet.

Jetzt Duschen oder lieber ausnahmsweise mal nicht, nur Mund spülen aber schon mal einen Kaffee aufsetzen- auf keinen Fall mit einer Zigarette anfangen. Bademantel drüber und Söckchen oder lieber gleich. Kurz nach acht wollte er kommen, der Sohn, der seine Freundin mit dem auszuleihenden Auto zur Arbeit bringen wollte und dann das Auto zurückgeben und natürlich wieder nach Hause gefahren werden wollte. Als obs keinerlei öffentliche Verkehrsmittel und auch keine halbstündigen Fußmärsche gäbe!

Mittlerweile hatten die 7 Uhr Glocken geläutet und er spürte eine kleine Dankbarkeit, nicht vom frühaufstehenden Nachbarn geweckt worden zu sein, sondern einfach von alleine(?).

Eine Geruchsprobe am gestrigen Hemd unter den Achseln bestätigte ihm, dass er sehr wohl einen weiteren Tag dieses graue, glatte Hemd noch einmal würde anziehen können, weil er sich immer wieder bestätigt sah, dass der Gebrauch von Seife oder Schampoo gänzlich überflüssig sei und nur der Waschmittel- oder chemischen Industrie diene.

Alles ritualisierte Einstellungen und Verhaltensweisen: er bemühte sich seit Jahren, seine Lebensweise zu entschleunigen, kaufte eigentlich immer nur denselben Grundstock an Nahrungsmitteln, an die er sich gewöhnt hatte, fand sich dann und wann auf der Seite derer, die nur noch ausgesprochen guten Wein zu trinken bereit waren, weil es sinnlos sei, lediglich eine Anmutung des Guten oder Schönen zu bekommen wo er doch wusste, was Genuss wirklich sei. So bereitete er sein Frühstück vor, holte das Brot aus dem Fach unter der Brotmaschine- diesmal ein dunkles, geschnittenes alsbald zu verbrauchendes Körnerbrot, legte es ordentlich auf seinen Frühstücksplatz – der Platz gegenüber blieb frei, ein zusätzliches Brettchen wäre ja auch schnell zu besorgen gewesen -  wobei ihm einfiel, dass es sich ja auch um seinen Essensplatz schlechthin handelte: an einem „Spieltisch“, den er erst voriges Jahr aufwändig hat restaurieren müssen- weil das Furnier gesplittert war – und schnitt drei Scheiben Gouda, mittelalt, von dem Block Käse ab, legte diese auf das silbrig glänzende, deshalb den Eindruck von Sauberkeit vermittelnde, Untersetzer-Teil, rückte die Sachen fürs Frühstück auf dem Tisch zurecht und goss das mittlerweile heiß gewordene Wasser aus dem kleinen Kocher, noch bevor dieser sich selbst abschalten konnte, in seine Standard-Tasse, jene, die er zu spülen sich weigerte, weil nur er und nur Kaffee draus trinken würde.

Das Zurechtrücken von Sachen setzte sich mit dem Belegen der Brote fort- mit jedem einzelnen. Der Gouda wurde so drapiert auf dem Brot, dass die ganze Fläche der länglichen Scheibe bedeckt war mit Käse und geometrische Flächen auf dem Käsebrot zu einem kleinen Kunstwerk, wie von Piet Mondrian. entstanden waren.

Zum Geburtstag seines jüngsten Sohnes hatte er diesem eine „Fotostrecke“ mit seinem Handy gemacht, wo diese Machart des Frühstücksbrotes auch optisch dokumentiert war.

frühstücksbrettchen

der hatte das wahrscheinlich nicht verstanden.

Das Küchenradio blieb aus.

Schwarzwälder Schinken

Ziegenkäse oder Quittenmarmelade oder gar Lemon, eine Machart englischer Zitronenmarmelade, Quittenmus als die eigentliche "Marmelade" (der Begriff aus Portugal)

Nochn Kaffee

Klingeln und Empfang, Verband wegen Garagentür, Durchgangsarzt im Haus

Roter Schlüsselbund und Hähnchengrill

Werkzeug für den Holzhammer

neuer Hammer für Sauerlandpark

Belang oder –los

Was ist Erziehung oder von dem Glück, einen Hammer zu reparieren 

Ankunft im Haus und üblicher Krach ganz leise, die Rolle von zusätzlicher Information

Als erstes, Abfallschublade klemmt und "Licht"

(ein Vogel knallt gegen die Küchenscheibe in seiner Wohnung um 15:12)

dann das Gespräch über Korrekturprinzipen und vertane Lehrgelegenheiten

fehlendes Klopapier

Exkurs über die Formulierung bei Luther, dass Du nicht falsch Zeugnis ablegen sollst wider Deinen Nächsten

Dann noch den Sperrmüll bestellen- über die Widrigkeiten eines alten PCs

Wegschleichen

Ob die Kirschen schon reif werden?

Kontakt mit dem älteren Sohn und Konsequenz aus der Reflexion über das Apartment

Fenster oder nicht Fenster

Vom Glück des Handwerks

Steine einladen und Reminiszenz an frühere Pläne, Pflaster zu legen

Mit Pflastern glücklich machen, auch wenn’s wenig ist

Das Buch überreichen über die Juden in Hemer

Ungezogener Vogel

Knabberstange und der Plan, eine Ahorn-Flöte zu bauen

Kaffeemaschine im Haus und der Stolz auf das Pflaster-Werk, so kleiner aber sichtbarer Fortschritt 


                                                            Nach Hause gehen ohne Hut mit neuem Haargummi

Scheiß-Werbung und die Abfall-Problematik

Doch schnell noch was zu Mittag zubereiten

Espresso

Mittagsschlaf oder so    bis fast 5

Arbeitsplatz oder Rentnerdasein

Zwischendurch ein paar Mal Gedanken an die erste große Liebe, die sich im August ein Wiedersehen des Jugendkreises wünscht

Jetzt ist schon Sommer, der Bach hat wieder Wasser- wenig, aber immerhin.

Odysseus war auch lange fort von Griechenlands Gestade

Bei Circe ging es ihm doch gut!

Die Eleganz, mit der sich, wie mit einem Tanzpartner, Julietta Massina bewegen kann, war nicht die einzige Assoziation an die Comedia dellÀrte:

Wie von einem Tablett im feinsten Restaurant hast Du mich angeschaut und unsere Blicke trafen sich und hielten den entscheidenden Moment zu lang, verknoten sich. So steigt man aus, aus den banalen Rollen, berührt sich mittels Wechselgeld und spricht offen die räumliche Distanz aus- wie unsinnig: “Wir würden uns bald wiedersehen, wenn ich nicht von so weit hierher gekommen wäre“ Aus dem Faden der Augenblicke webt sich ein Netz. Ich habe es zerrissen mit einer bewusst oberflächlichen Berührung Deiner Schulter beim Abschied.

Notizen vom 13.06.2010:

Wenn man daraus ein Theaterstück mit den Erfordernissen der Einheit von Ort, Zeit und Handlung machen müsste, wäre die Situation am Freitag die Klimax vor dem letzten Akt.

Jetzt setzt die Orgel und Blasmusik ein, während er als qualifizierte Aufsicht seinen 4-stündigen Dienst im StaLag Museum macht und ab und zu den Besuchern erzählt, dass sie nunmehr verstehen würden, warum Hemer so glücklich ist über den Zauber der Verwandlung vom Kriegsgefangenenlager über die Blücher-Kaserne hin zur ersten Landesgartenschau im Sauerland.

Dramatis Personae

Im gerade erwähnten Theaterstück spielen folgende Personen mit: Er, seine von ihm verlassene Frau, ein behinderter Mieter, seine langjährige Mieterin und Vertraute, seine derzeitige Freundin, die sich nicht sicher ist, ob eine Liebesbeziehung oder eine Affäre gerade aktueller ist, seine Boule-Freundin und deren Freundin, weitere Boule Freunde und deren Frauen, sowie ein noch immer nicht wiedergesehener Kindergarten-Freund und ein neu dazugekommener Freund, den er seit mehr als 30 Jahren nicht gesehen hatte..

Handlung erste Szene

In der 23. Woche des Jahres 2010 stand auf seinem Kalender um 18:00 die Eröffnung einer zweiten Kunstausstellung, derer es vier während der Landesgartenschau geben würde. Am Sonntag zuvor hatte er dies seiner Boule-Freundin erzählt, aber auch seiner derzeitigen Freundin, die er versuchte, nie im Unklaren zu lassen über seine Termine. Montag Abend wollte er, wie jeden Montag, zur Sitzung der Fraktion seiner Partei.

18:00   Er traf im Ausstellungsraum ein und begrüßte die eine oder andere Person aus der ihm locker bekannten Künstlergruppe, traf überraschenderweise einen Boule-Freund und stellte fest, dass jener auch Kassierer des Vereins und verheiratet mit der Vorsitzenden sei. Er hatte gerade ein ihm bekanntes Bild einer Künstler-Freundin entdeckt, als seine Boule-Freundin in sehr hellem Orange erschien, eine der wenigen Besucherinnen in für eine  „Vernissage“ angemessener Kleidung, einem eher eleganten Hosenanzug. Mit ihr ging er also die Ausstellung durch und machte hier und da eine Bemerkung dazu. Zwei weitere Ausstellungsräume wurden „begangen“, nur im ersten hatte es Sekt und O-Saft gegeben.

 

Zweite Szene:

Unmittelbar nach der Vernissage gab es  noch für ihn ein Zeitfenster von fast einer Stunde

- der Weg zurück zum Ausgang, den er mit seiner Boule Freundin schlenderte, wurde unterbrochen von einem eingeschobenen Zwischenaufenthalt auf zwei riesigen orangenen Sitzkissen, die verstreut im Gelände der Landesgartenschau zwischen den Beeten auch auf den schrägen Rasenstücken liegen, zum Verweilen und zum Betrachten des Sonnenuntergangs einluden. Ein dieser Stimmung und dem schönen Sommerwetter entsprechendes Gespräch krönte die Harmonie, ein Handy-Bild zeugt von der Situation. Schließlich die Verabredung zum Boule-Spiel spätestens am Mittwoch oder vielleicht schon am nächsten Tag im Park.

Am späten Abend, in der Fraktionssitzung   fragte ihn seine auch anwesende Frau, ob er denn sein Versprechen, sie von der morgen stattfindenden Untersuchung beim Arzt abzuholen, wenn er angerufen würde, einlösen werde. Er bejahte. Das war der Tag, an dem er von seiner Freundin die SMS bekam, dass sie jetzt andere Dinge ordnen wolle mit ihrer Fastenkur, obwohl sie ihn zum Kaffee eingeladen hatte.

Pünktlich zum Boule am Mittwoch, wo alle Bahnen mit 16 Spielern belegt waren, war er zurück und konnte auch noch den Termin der Ehrenamtlichen Landesgartenschau-Helfer mit dem Bürgermeister wahrnehmen.

Dritte Szene

Dann kam der 10.6., zu dem er seinem behinderten Freund versprochen hatte, mit dem ermäßigten 17:00 Uhr-Ticket einmal durch die Landesgartenschau zu laufen- mit einem kostenlos bereitgestellten Elektro-Rollstuhl, den er am Haupteinang ausleihen konnte.

Der gesamte Rundgang fing für seinen Freund eigentlich schon bei dem neuen Edeka Laden an, den er noch nicht gesehen hatte und einigen Kaffee-Plätzen in der Innenstadt. Zu diesen Stellen hinzugehen ging aber zeitlich nicht und auch nicht emotional, weil er allzu oft schon als  spastisch behinderter Tetraplegiker (jemand der an allen vier Gliedern eingeschränkt ist), aus Lokalen hinausgebeten worden war, zumal er halt ungepflegt aussieht und von Bewegung, Habitus und auch manchmal Sprache schnell mit einem alten Alkoholiker verwechselt wird.  Diese Welt der Blumen und Stauden, des Feierns und „Sich-Gut-Gehen-Lassens“ war das schiere Kontrastprogramm zu seinem Leben. Also war schon der Weg ins Gelände für ihn eine Art Kulturschock. Nein, auf ein Klo musste er gerade nicht. Aber es muss für ihn so fremd wie Frankfurt für Heidi gewesen sein.

Der Plan, so einen ganzen Tag aufzuschreiben, erschien ihm vermessen- erinnerte ihn an Bloomsday oder so etwas- dabei hatte er sich den Prozess des Schreibens noch viel komplizierter vorgestellt- das Bellen des Hundes führte ihn gerade  zum Kapitel mit dem Vogel- nicht etwa zu dem kleinen bescheidenen Terrier, den er im August wohl erst hüten sollte. Also im Nachhinein wird das ablaufen. Dabei werden Assoziationen die er gehabt hatte oder gehabt haben würde, wohl kaum authentisch diejenigen sein, die er im Vollzug des Lebens hatte an diesem Tag. Er hatte sich eine gute Seite Notizen gemacht, die er dann um seine Erinnerung, um seine Tatsachen würde erweitern wollen. Denn er wusste ja, dass es andere Erinnerungen sein werden, als die, die das Kurzzeitgedächtnis wenige Minuten oder Stunden später abgespeichert haben würde. Nein, das Diktieren mit head-set am iphone oder umständlicher mit seinem alten PC wäre wohl auch nur eine andere Version derselben Probleme, die sein Kopf ihm bereiten würden.

Aber immerhin eine Version. Es wird so sein wie im richtigen Leben, Ereignisse werden unterschiedlich wahrgenommen und erhalten einen unterschiedlichen Wahrheitsgehalt. Es wird also darauf ankommen, möglichst plausibel die vermutlich übereinstimmenden Wahrheitsgehalte von Verhalten und Geschehnissen zu verwalten.

So, das war also der Freund vergangener Tage, rundlich geworden und gesettelt,die biografischen Notizen der letzen 35 Jahre sind schnell erzählt- was ihn wundert, es ist alles so, wie er auch  sich und seine eigene Biografie vorgestellt hat, es gibt so viele Brüche und Identitäten, so viele ausgesprochene und unausgesprochene Exkurse, jenen hat eigentlich nur die Aussage fasziniert, dass es darum geht, die letzten biographischen weißen Flecken in der Landkarte der eigenen Geschichte zu tilgen.