Sascha (Herbst 2005)
Er beobachtete genau, nachdem er selbst die
angebotene Zigarette einer Inspektion unterzogen hatte, ohne Filter, nicht
parfümiert, wie ich vor seiner Haustür im Vorgarten nach dem Essen, meine
Zigarette nahm, und an deranderen Seite in den Mund steckte - erwischt! Die
Blicke kreuzten sich under lachte laut und sagte mit fragendem Unterton
"KGB?" - Nun, ich kannte diese Szene, nur mit dem Unterschied, dass die
kumpelhaft fragende Bemerkung "CIA?" gelautet hätte. Da waren wir dann beide
eine Erklärung schuldig. Die Autos an der nahen Ausfallstraße von Moskau
Richtung Sagorsk rauschten zu schnell für die Qualität der Fahrbahn , machten
Lärm. Ich fragte mich, wie es kommt, dass vielleicht eine Filmszene, eine
Spionage-Geschichte, derart interkulturelles Gemeingut geworden war. Oder
hatte ich nur irgendwann etwas Russisches aufgeschnappt und jahrzehntelang
gepflegt, nur um hier, in der Nähe des Urprungsortes dieser kleinen
Kommunikationsfigur, erwischt zuwerden. Es ist belanglos eigentlich, wie
herum man eine Zigarette ohne Filter anzündet. Es könnte aber einen
vernünftigen Grund geben, das Markenzeichen zuerst anzubrennen. Die
Geschichte geht so, dass man es tut, weil es ja sein könnte, dass man sie
nicht zu Ende rauchen kann, sie wegwerfen muss und dann die Spurensucher
sofort wissen würden, welche Lieblingsmarke man geraucht hat. So ähnlich wie
"nicht geschüttelt, nur gerührt". Für einen ehemaligen Boxer, einen, der
viele Wettkämpfe gewonnen hatte, sah sein Gesicht unverletzt aus, bubenhaft.
Und 160 Kilogramm schienen mir auch objektiv zu viel zu sein um den Anschein
von strotzender Gesundheit zuerwecken. Es gab da viel Stolz, viel
geschafft zu haben mit seiner eigenen Hände Arbeit und die Aussicht,
Bewunderung zu ernten für ein Projekt namens Familienwohnsitz in einer Zeit,
wo andere sich von Vertragspartnern schicke Häuser bauen lassen. Ja wir
haben natürlich auch über seine deutsche Familienvergangenheit gesprochen,
Onkel im Gulag und dann ausgewandert nach Bad Mergentheim, und ob es Sinn
machen könnte, in Deutschland sein Glück zu versuchen. Und dann meinte er,
wie auffällig es doch sei, dass zum Beispiel im Boxsport die deutschen
Meisterschaften meist von türkisch-stämmigen Boxern bestritten würden. Und
dass die Integration in Deutschland nicht so gut verlaufe. Wir haben über den
Unterschied von Assimilation und Integration gesprochen. Ich habe abgeraten,
nach Deutschland auszuwandern. Klar, er würde sich zurechtfinden, vielleicht
wieder einen Lebensmittelmarkt mit Spezialitäten, die er von weit herholt,
aufbauen. Aber würden seine Kinder wieder Deutsche werden? Würde er das
wollen? Würde er alles verlassen, um in ein Land zu ziehen, von dem er weiß,
dass es noch für Generationen eine Klassengesellschaft sein würde? Das
Schicksal weder hierher noch dorthin zu gehören, würde ihn härter treffen als
andere, denen es egal ist. Nein, es rumpelt zwar noch für die nächsten Jahre
in der Nähe von Moskau, die Autos werden noch lange für bessere Straßen
gebaut sein als sie jetzt vorfinden, aber er würde das
begonnene Familienwohnsitz-Projekt aufgeben und in der Fremde anfangen. Ich
habe ihm abgeraten.