Zugfahrt

Der Eurocity 3, genannt Rembrandt , fährt, gleitet, bremst durch das Rheintal- wie schön dieser Blick im Herbst ist und wie sauber die Vorgärten,, Engstellen zwischen Fluss und Berg , gegenüber die Weinblätter in leuchtendem Gelb: Mauern von Häusern mit lärmgeplagten Menschen, wie viel halten die aus?
Die Schilder des Bahnhofes werden unlesbar mit der Geschwindigkeit. Ich habe früher in Zügen Kontakt gesucht zu Spiegelbildern, wie wenn es einfacher wäre mit einem Spiegelbild in Kontakt zu kommen als mit echten Bildern- echten Menschen gar.
Züge mit wechselndem Hintergrund in den Scheiben sind dazu gut geeignet, ein Kind beginnt zu weinen, es fährt nach Hause und wird ungeduldig, angesichts der länger dauernden Fahrt. In der Tat, da gibt's einen schnelleren Zug, aber der fährt nicht immer. Was für eine Wolkenformation am südlichen Himmel!
Die Sonne verschwendet noch ein paar Strahlen an den ruhigen Samstag. Montag geht's wieder los.
Vorhin auf dem Bahnhof dachte ich an die Zielgruppen die mit dem Zug fahren; Studenten nach Hause, Zugwanderer in Urlaub. Großeltern zu Enkeln und ein Gespräch musste ich mithören, wo ein junger Mann nach Solingen Ohligs zu seiner Mutter fährt und seinem Nachbarn erklärte, dass er nicht ohne einen Blumenstrauß dorthin gehen wolle. Das letzte Mal habe sie sich so sehr darüber gefreut. Kurze Zeit später redete man über den noch zu kaufenden Blumenstrauß- es gebe zwar schon schöne für zehn Euro, aber bis zu dreißig Euro wolle er wohl ausgeben, weil "Das ist mir meine Mutter schon wert"; es hörte sich an, wie wenn er allzu selten einen Blumenstrauß mitgebracht hätte, wie wenn er eigentlich nicht in der Lage wäre, ohne Blumenstrauß Freude zu bereiten; die beiden, die sich unterhielten über Mütter und Blumen, hatten eine Gesprächsstruktur, die mich an Strafgefangene erinnerte und bei diesem Gedanken konnte ich mir die ganze Geschichte ausmalen. Nach längerer Zeit endlich wieder mal Mutter besuchen, die sich doch so über so ein paar Blumen gefreut hatte- vielleicht wird sie sich wieder freuen über einen üppigen Strauß, ab um dreißig Euro. Wahrscheinlich kann sie sich nicht vorstellen, dass es so lange dauern musste, bis er sie wieder besuchen kommen kann: weiß sie am Ende gar nicht, dass er eingesessen hatte? Was für eine Rolle spielt hier die Mutter im Leben des Gefangenen? Wer hätte sie trösten können, wenn sie's gewusst hätte? Natürlich lebt Mutter alleine und er hat wohl die Vorstellung, wenn er endlich mal wieder kommt, freut sie sich sehr und es passt ihr auch dass er kommt, er war ja solange nicht da. Als er das letzte Mal da war, hat sie sich ja auch gefreut. Mutter ist Funktion wie Adresse, freut sich, wenn man da hinzugehören scheint, auch wenn seine letzte Adresse gerade so war, dass nur Eingeweihte wissen, was sich dahinter verbirgt. Nicht anrüchig ist es. Und sozusagen passend, der Mutter die Blumen mitzubringen. Und dann kurz vor Ohligs eine Bemerkung seines Kumpels: Aber wir müssen ja noch Bier holen für heute Abend. Also werden sich die beiden, der eine, der nicht wusste, dass Ohligs nach Wuppertal kommt und der andere der die Blumen noch kaufen muss, wieder sehen. Wo werden sie feiern? Wer weiß ob sie beide dann schon wieder in Schwierigkeiten kommen und dann wieder für eine ganze Weile die Mutter nicht besuchen können?
Der Zug hat Verspätung. Merkwürdig, wie normal das ist, eher ist es doch so, dass man damit rechnen muss und dann überrascht es einen doch, wenn's so ist. Gebirgsformation am Fluss, wie Baumkuchen quer, Faltengebirge - Jetzt aber flott.
Schiffe mit Müll auf dem Rhein, Vater Rhein? Wunderschöne Burg da oben mit Fahne draußen. Als ob Raubritter sagen wollten: Ja, wir sind zu Hause.
Ein früherer Kollege, der auch an Sternzeichen glaubte und schon mal jemanden nicht eingestellt hat wegen des falschen Geburtsdatums, der glaubte von mir, ich sei in einem früheren Leben ihm schon mal begegnet. Bei unserer Unterhaltung wurden wir uns nicht einig, wer der Raubritter und wer der Inquisitor gewesen sei.
Dort oben wird gerade noch gelesen- Alu-Kiepe auf dem Rücken, dann steht sie aber am Boden und eine kurze Pause ist wohl angesagt. Wie's sein mag, wenn die Familie einen Weinberg hat und die Söhne weder so zahlreich noch so motiviert, um mitzuhelfen beim Einsammeln des Segens. Die Ernte.